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Corona & Gottesdienst

Ute Haller • 9. Juli 2020

Wie die Quarantäne unser Gemeindeleben verändert hat

Im März hatte unser normales Gemeindeleben abrupt geendet. Bis dahin hatten wir an den Sonntagen den Gottesdienst morgens oder auch mal abends besucht und während der Woche verschiedene Kleingruppen - Jugendkreise, Mitarbeitertreffen, Gebetskreise....Nun war schlagartig Schluss. Keine Gottesdienste mehr, keine Kleingruppen, nichts mehr. Keine Begegnungen mit Freunden, kein "Wie geht es denn so". Am Anfang fiel es gar nicht so auf. Die Gemeindeleitung und unser Pastor reagierten schnell und starteten online Impulse und am zweiten Sonntag dann auch eine Live-Übertragung. Erwartungsvoll traf sich die Familie kurz vor zehn im Wohnzimmer, einige noch mit Kaffeetassen, aber immerhin. Zumindest eine aufbauende Predigt hören, Lieder mitsingen, ein bisschen das Gefühl, dabei zu sein.

Im Laufe der nächsten Wochen wurde das Ganze etwas lässiger gehandhabt wie vieles andere auch, z.B. Homeschooling. Manche noch im Halbschlaf, mit Schlafanzug oder nur teilweise wohnten wir der Übertragung bei. Mutter schälte nebenbei den Spargel, die Mädels tippten auf dem Handy. Kleingruppen oder Hauskreise gab es nun via skype - besser als nichts, aber es fehlte eben dieses persönliche Erleben, sich umarmen, gemeinsam Tee trinken, singen und beten. Über skype doch alles etwas ungewohnt. Besprechungen wurden über Videokonferenzen abgehalten, man gewann neue Einblicke in die unterschiedlichen Wohn- und Arbeitsverhältnisse anderer Mitmenschen. Technische Schwierigkeiten kamen und gingen, manche Teilnehmer waren nur zu sehen, andere nur zu hören. Unser technisch begabter 16jähriger nützte die Gunst der Stunde und schloss sich dem Sonntagstechnik Team an und war fortan wieder im Gottesdienst dabei. Nur wenige Menschen, kein Gedränge, das fand er gut.

Mit den Lockerungen war es dann ab Juni auch erlaubt, unter strengen Auflagen wieder Gottesdienst zu feiern. Erst mal anmelden, rechtzeitig dort sein mit Mundschutz. Statt wie gewohnt ein freundlich lächelnder Begrüßer mit Händeschütteln am Eingang, gab es nun einen Desinfektionsständer und ein Häkchen auf der Liste, das ein vermummter Mitarbeiter nickend bestätigte.  Das Einbahnstrassen System schleuste uns direkt in den großen Saal. Anstelle des üblichen Geräuschteppichs von mehreren Hundert Menschen gab es nun beklemmende Stille und Distanz, es waren vielleicht nur 4o Personen anwesend. "Es fühlt sich anders und beklemmend an" kommunizierte unser feinfühliger autistischer Sohn, als er sich auf den zugewiesenen Platz gesetzt hatte. Ja, es war einfach anders. Aber eben auch anders als zuhause vorm Bildschirm - ich genoss das Gefühl, wieder persönlich dabei zu sein, echte Menschen zu sehen, echte Musik zu hören, so gut es ging mitsingen zu können. Und nach fröhlichem Ratespiel, wer hinter welcher Maske steckt Freunden zuzuwinken oder draußen anzusprechen. Mir wurde bewußt, wie selbstverständlich das alles vorher war, und wie wir nun kleine Freiheiten geniessen und dankbarer sind!

von Ute Haller 24. Januar 2021
Home Schooling - jahrelang hatte ich die Eltern in anderen Ländern bemitleidet, die das absolvieren mussten. Nun traf es mich beim vierten Kind doch noch. Wegen Corona bleibt auch die Förderschule Schule geschlossen. Der Lehrplan per Post beinhaltet für die Berufsschulstufe Wäschedienst, Härtegrad prüfen, sortieren und aufhängen. Dann Thema Küchensicherheit und ein Arbeitsbuch über Zeitgeschichte. Ich blättere es durch, frage nach und staune über das Wissen meines autistischen Sohnes - Stauffenberg, Demontage, Marktwirtschaft, Verfassung... alles Sachen die er mir erklären kann per FC.(Gestützte Kommunikation) Ein Teil widmet sich auch der DDR Geschichte und endlich schließen sich meine Wissenslücken. Wie kam es zur Annäherung, welche Rolle spielte Gorbatschow usw. Nachdem das durch war schalten wir um auf den Alpha Kanal Mathematik- da geht es heute um binomische Formeln. Anschaulich erklärt mit Skizzen eines jungen engagierten Professor - und endlich kapiere ich auch das. Zu meiner Schulzeit hatte ich mich da irgendwie durchgeschlängelt, ohne es wirklich zu begreifen, aber jetzt kommt erst die Erkenntnis. Hat vielleicht doch Vorteile, dieses Home Schooling! Was fehlt, ist der gewohnte Rhythmus - raus aus dem Haus, rein in den Bus, raus in die Schule. Dabei ist Struktur und Ritual doch so wichtig für autistische Kinder. Dazu kommen die Fragen: Wie lange? Warum? Na gut, letzteres klärt sich im Laufe der Zeit durch Nachrichtensendungen, und ein bisschen hilft auch die Tasche, dass es in anderen Ländern auch nicht anders zugeht und das für alle eine besondere Zeit mit viel Neuem ist. Wie auch immer - es muss viel erklärt werden, und da niemand weiß, wann es wieder weitergeht muss man sich in Geduld üben. Bis dahin brauchen wir einen Tagesplan, der feste Zeiten für Lernvideos beinhaltet, Geregelte Mahlzeiten und Pausen. Mindestens einmal am Tag raus, einkaufen, Spaziergehen, zum Briefkasten, Altglas einwerfen… und hoffen auf bessere Zeiten!
24. Januar 2021
Heute gehen wir zum Zahnarzt Heute ist Zahnarzt dran - sonst ein unbeliebter Termin nach einem langen Schultag, heute dank Coronavirus eine willkommene Abwechslung. Wir machen uns auf den Weg zur Bushaltestelle. Ich trage meinen Mundschutz, mein Sohn ist aufgrund seiner Behinderung Gott sei dank davon befreit. Schon ein Fortschritt, dass er meinen nicht runterreißt, weil es neu und ungewohnt ist. In der Tasche habe ich das Schreiben vom Gesundheitsministerium- man kann nie wissen. Der Bus ist mit vier Personen mit spärlich besetzt, und auch in der u-Bahn gibt es nicht so viele Menschen wie sonst. Beim Zahnarzt sind die Wartezeiten so gestaltet, dass immer nur ein Kind mit Elternteil im Wartezimmer ist. Während mein Sohn sich relativ geduldig Zahnstein wegkratzen lässt überlege ich zum wiederholten Male, wann für ihn als 1,90 Jüngling die Zeit zum Wechsel in eine normale Praxis dran ist. Im hellen Licht der Lampe entdecke ich erste Härchen auf seinem Kinn. Dann machen wir uns erleuchtet auf den Heimweg. Beschwingt gehe ich noch in den kleinen Asienladen und kaufe Sojasoße und frischen Tofu. Was macht er da, fragt der Inhaber wegen Simons fehlendem Mundschutz, lässt sich aber gerne aufklären. Dann wieder zurück mit der U-Bahn. Beim Einsteigen bin ich kurz durch eine Frau mit Kinderwagen abgelenkt, schon lässt sich mein abstandsresistenter Sohn auf einen Viererplatz plumpsen, wo bereits eine Dame sitzt. Noch bevor ich den Mund öffnen kann, springt sie schimpfend auf, du dummer, dummer Mensch, ruft sie kopfschüttelnd und empört und sucht sich einen neuen Platz . Mein Sohn schaut verständnislos, ich versuche zu erklären, dass es im Moment wichtig ist, Abstand zu halten und sich nicht automatisch auf freie Plätze zu setzten. Beim Umsteigen und warten am Bahnsteig dann wieder das gleiche Szenario, er lässt sich glücklich auf einen leeren Sitz fallen und das junge Mädchen daneben springt auf und stellt sich etliche Meter weit weg. Nun ist es ja allgemein mit der Toleranz gegenüber Menschen, die sich anders verhalten, nicht so weit her. Aber nun sind alle offensichtlicher noch ängstlicher bzw. Abweisender. Puh, da steht uns ja noch einiges bevor. Nachdenklich gehen wir dann ohne weitere Zwischenfälle nach Hause.
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